Was nervt, ist gut.

Als ich mit der “Scrummeisterei” vor über 10 Jahren angefangen hatte, empfand ich es als äußerst nervenaufreibend, wenn die Kollegen die doch recht einfachen Scrum-Regeln und obligatorischen Artefakte hinterfragt haben und nicht so recht dieser doch so fantastisch einfachen Methodik folgen wollten, das Commitment in frage stellten oder Anforderungen mit Edge Cases zu torpedieren versuchten. Sicherlich werden das frisch gebackene Scrum Master aber auch Product Owner kennen: Diese ewigen Fragen nach dem “warum dies, warum das”. Mittlerweile weiß ich die Kritik zu schätzen.

Warum hat diese Story jene Akzeptanzkriterien? Hast du dies und das bedacht? Oder einfach nur: “Diese Story verstehe ich nicht!”. Jeder PO wird früher oder später mit derlei Fragen konfrontiert werden. Fragen, die ein Backlog-Grooming zu einem sehr zähen Termin verkommen lassen. Die Nerven liegen blank, die Stimmung der beteiligten kippt. Alle wollen nur noch raus.
Oder nehmen wir das Sprint-Planning. Wie ist denn nun das Sprint-Ziel, wie lautet die Produktvision und warum sollen wir uns überhaupt auf etwas “commiten”? Steht doch im Scrum-Guide!

Heute weiß ich: Alles, was nervt, ist gut! Denn mit diesen nervigen Fragen werden Schwachpunkte aufgezeigt. Es ist also ein überaus kostbares Feedback, das man dankbar annehmen sollte, statt den Kollegen eine böse Absicht zu unterstellen. Es nervt uns, weil ein wunder Punkt getroffen wurde und es verursacht Stress weil wir auf die Frage selbst noch keine Antwort haben, einen Aspekt nicht vollends bedacht haben und uns daher “ertappt” fühlen. Fight of Flight. Wir streiten uns oder wollen über den Punkt hinwegsehen. Die große Kunst besteht aber darin, in der angebrachten Kritik etwas gutes zu sehen. In der Psychologie nennt man das “Reframing” oder “Umdeutung”: Man versucht die Situation in einem anderen Kontext zu sehen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen und eine andere Bedeutung zuzuweisen. Nein, die Kollegen sind nicht “bockig”, sie haben es nur nicht verstanden, weil ich es nicht klar formuliert oder vollends durchdacht habe. Und so nimmt man das Feedback mit, um nachzuarbeiten oder noch besser: zusammen mit den Kollegen eine Lösung zu erarbeiten.

Natürlich fällt es den wenigsten leicht, Fehler zuzugeben. Eine unerfahrene Person möchte nicht als solche wahrgenommen werden. Dabei liegt die echte Stärke doch eben darin, einzugestehen, dass einem selbst etwas nicht ganz klar ist. Meiner Meinung nach macht das den Unterschied zwischen einem Neuling und einem Profi aus: Zu wissen, dass man eben nicht alles weiß - und dazu zu stehen.